Köln, den 16. Februar 2022 – Die Absenkung des Rechnungszinses zum Jahresbeginn 2022 forciert die Neuausrichtung der Lebensversicherer. Zugleich wächst mit der gestiegenen Inflation die Hoffnung auf eine Leitzinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB). Eine Zinswende würde auch die Anforderungen der Zinszusatzreserve (ZZR) reduzieren. Im Jahr 2021 mussten die deutschen Lebensversicherer dafür knapp 10 Mrd. € nachreservieren. Insgesamt hat die Branche seit Einführung des Reservetopfs im Jahr 2011 einen Bestand von 97 Mrd. € aufgebaut. Bei gleichbleibenden Marktzinsen wäre die ZZR damit schon zu mehr als drei Vierteln ausfinanziert.
Dies sind Ergebnisse aus der aktuellen Marktstudie zu Überschussbeteiligungen und Garantien von Lebensversicherern, die Assekurata am 10. Februar veröffentlicht hat. Die Studie kann einschließlich vieler Einzelauswertungen hier bestellt werden. Auf diesen Seiten finden Interessenten auch alle Assekurata-Ratingberichte kostenlos zum Download.
Höchstrechnungszins zum 01.01.2022 gesenkt
Erstmals seit Anfang 2017 hat der Gesetzgeber den Höchstrechnungszins in der Lebensversicherung zum Jahreswechsel wieder abgesenkt. Seit dem 01.01.2022 beträgt er lediglich noch 0,25 % nach zuvor 0,90 %. Dies erschwert es den Anbietern enorm, neuen Kunden vertraglich den vollständigen Erhalt der eingezahlten Beiträge zu garantieren. „Damit geht eine weitere Erosion der Garantien in den Lebensversicherungsprodukten einher“, kommentiert Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata.
Versicherer hofften vergeblich auf eine Riester-Reform
Besonders relevant sei dies bei Produktsegmenten, für die der Beitragserhalt gesetzlich vorgeschrieben ist, beispielsweise den geförderten Riester-Versicherungen. „Durch die ausgebliebene Reform auf politischer Ebene sind Riester-Policen zum Auslaufmodell geworden, da sie nur noch vereinzelt von Direktversicherern oder in Form von Nettotarifen angeboten werden“, sagt Heermann.
ZZR senkt die Garantiezinsen im Bestand deutlich
Der gesunkene Höchstrechnungszins trägt dem Niedrigzinsumfeld Rechnung, schlägt sich aber nur langsam in den Büchern der Lebensversicherer nieder. Dies liegt daran, dass die deutschen Lebensversicherer noch große Bestände an höher verzinsten Altverträgen mit sich führen, insgesamt mehr als 40 Millionen Stück. Insoweit betrifft der Niedrigzins laut Heermann die Anbieter auf zwei Ebenen: „Lebensversicherer müssen ihre Garantien im Neugeschäft neu austarieren, gleichzeitig aber ihre Leistungszusagen im Bestand finanziell absichern.“ Denn trotz der Absenkung des Höchstrechnungszinses und der längst eingeleiteten Neuausrichtung hin zu kapitaleffizienten Produkten ist die Finanzierung der Garantieverpflichtungen für viele Anbieter herausfordernd. So lag der nominelle Garantiezins im Bestand der Lebensversicherer Ende 2021 bei durchschnittlich 2,56 %. Wirtschaftlich entlastend wirkt hier allerdings die ZZR, zu deren Aufbau die Branche seit 2011 verpflichtet ist. Unter Anrechnung dieser Mittel fällt die durchschnittliche Garantiezinsanforderung mit 1,43 % um 113 Basispunkte geringer aus, hat Assekurata in der Studie ermittelt. In den Vorjahren war die Entlastung mit 108 (2020) beziehungsweise 97 Basispunkten (2019) noch nicht so hoch.
Höheres Zinsniveau senkt ZZR-Zuführungsbedarf
„Der spürbare Entlastungseffekt der ZZR kommt nicht von ungefähr, sondern resultiert aus dem umfangreichen Reserveaufbau in den vergangenen Jahren“, kommentiert Heermann. Für das Bilanzjahr 2021 ermittelte Assekurata auf Basis der Studiendaten branchenweit eine ZZR-Zuführung von 10 Mrd. €, die somit etwas geringer ausfällt als im Vorjahr (11 Mrd. €). Den Grund hierfür sehen die Studienautoren im leichten Anstieg des Marktzinsniveaus im Jahresverlauf 2021, so dass der für die ZZR-Dotierung maßgebliche Referenzzins nicht so stark fiel wie in den Jahren zuvor, dennoch aber weiter auf 1,57 % (Vorjahr: 1,73 %) zurückging. „Im Gegensatz zum Vorjahr wurde diesmal keine zusätzliche Tarifgeneration nachreservierungspflichtig, die bisherigen ZZR-Tarifgenerationen sind aber weiter aufzufüllen“, ergänzt Lars Heermann. Insgesamt beläuft sich die Branchen-ZZR Ende 2021 laut Assekurata auf 97 Mrd. €, was etwa 10 % der bilanziellen Deckungsrückstellung entspricht.
EZB hält vorerst an ihrer ultralockeren Geldpolitik fest
Die weitere Entwicklung der ZZR hängt neben der individuellen Bestandsstruktur der Versicherer maßgeblich vom allgemeinen Zinsumfeld ab. So plant die EZB nach eigenem Bekunden vorerst kein Ende ihrer Nullzinspolitik und hält an ihren Anleihenkäufen im Zuge der COVID-19-Pandemie fest. „Angesichts der signifikanten Inflation im Euroraum und dem Vorstoß der US-Notenbank Fed mehren sich allerdings die Anzeichen, dass die EZB in den kommenden Monaten von ihrer ultralockeren Geldpolitik abrücken könnte“, mutmaßt Heermann. „Ein höheres Zinsniveau würde den Lebensversicherern den ZZR-Aufbau erleichtern, sofern die Bewertungsreserven als Finanzierungsquelle dadurch nicht aufgezehrt werden. Ganz vom Tisch wäre der ZZR-Aufbau aber auch bei steigenden Zinsen noch nicht.“
Dies ergibt sich aus der zugrunde liegenden Berechnungsmethodik des Referenzzinses, für den Assekurata im Rahmen der Marktstudie drei verschiedene Zukunftsszenarien simuliert hat, deren Verläufe in der folgenden Abbildung dargestellt sind.
Weiterer ZZR-Bedarf auch bei steigenden Zinsen
In allen drei Szenarien fällt der Referenzzins in den kommenden fünf Geschäftsjahren weiter ab. Im Basis-Szenario, das eine Fortschreibung des aktuellen Zinsniveaus über den kompletten Prognosezeitraum unterstellt, würde der Referenzzins die rückläufige Tendenz der vergangenen Jahre fortführen und 2029 erstmals das Niveau von 0,90 % unterschreiten. Damit würden auch Verträge der Rechnungszinsgeneration nachreservierungspflichtig, die bis Ende 2021 noch im Neugeschäft angeboten wurden. Im Negativ-Szenario tritt dieser Fall bereits 2026 ein, im Positiv-Szenario würde sich der Referenzzins ab 2026 bei etwa 1,25 % einpendeln.
Im Basis-Szenario ist die ZZR zu großen Teilen bereits finanziert
Mit Blick auf die daraus resultierende ZZR-Dotierung rechnet Assekurata im Basis-Szenario für die kommenden beiden Jahre mit einem Zuführungsbedarf von jeweils circa 7 Mrd. €. Bereits bis 2026 würde der Gesamtbestand der ZZR auf über 120 Mrd. € ansteigen. „Bei einem Fortlaufen des aktuellen Zinsniveaus erreicht der ZZR-Bestand dann 2028 mit einem Volumen von rund 125 Mrd. € seinen Höchstwert“, ergänzt Lars Heermann. „Mit dem aktuellen ZZR-Bestand von 97 Mrd. € wären also bereits knapp 78 % der Wegstrecke geschafft.“
Aktuelle Inflationslage erhöht Chancen auf ein positives Szenario
Durch die aktuell hohen Inflationsraten und den steigenden Druck auf die EZB, ihre Niedrigzinspolitik zu lockern, wächst auch die Wahrscheinlichkeit von langfristig steigenden Zinsen. Wie der Abbildung unten zu entnehmen ist, würde ein positives Zinsszenario mit einem kontinuierlichen Zinsanstieg auf bis zu 2 % den branchenweiten ZZR-Zuführungsbedarf verringern. „Hierbei würde der ZZR-Bestand bereits 2024 bei gut 110 Mrd. € sein Maximum erreichen“, erklärt Lars Heermann. „Je nach individueller Bestandsstruktur kann es bei einzelnen Anbietern allerdings zu deutlichen Abweichungen kommen.“
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