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Die Wesentlichkeitsanalyse als strategisches Instrument für die nicht-finanzielle Berichterstattung

Schaut man sich die CSR Berichterstattungen verschiedener Versicherungsunternehmen an, so lässt sich eine unglaubliche Themenvielfalt entdecken. Ob Maßnahmen gegen die globale Klimakrise, der eigene Imkereibetrieb, betriebliche Arbeitsschutzmaßnahmen oder die Förderung des lokalen Sportvereins – das Feld der angesprochenen Nachhaltigkeitsaspekte ist überaus breit. Dabei gibt es, aufgrund mangelnder gesetzlicher Vorgaben, kein richtig oder falsch. Es lässt sich sogar argumentieren, dass jedes noch so kleine Projekt eine positive Wirkung erzielen kann. Dennoch birgt eine allzu breite Berichterstattung, in der das Versicherungsunternehmen jedes noch so kleine Projekt zu einem mehrseitigen Artikel im CSR-Bericht ausbaut, auch Gefahren. So könnten solche Versicherer schnell des Greenwashings beschuldigt werden. Wer sich in zu vielen Themenbereichen als zu positiv darstellt, erweckt den Eindruck, dass dies nur eine Fassade ist. Dies wirkt sich dann auch negativ auf die Darstellung der Aktivitäten aus, in denen der Versicherer tatsächlich einen überdurchschnittlich hohen Beitrag zur Umwelt oder zur Gesellschaft leistet. Solche Aktivitäten könnten dann als weniger positiv oder relevant wahrgenommen werden.

Die Wesentlichkeitsanalyse als Ausgangspunkt der Berichterstattung

Welche Themen sind für Versicherer nun so relevant, dass sie in der nicht-finanziellen Berichterstattung eine prominente Rolle einnehmen sollten, und auf welche kann weniger stark fokussiert werden? Diese Frage lässt sich natürlich pauschal nicht beantworten – zu verschieden sind die Versicherer unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten hinsichtlich ihrer Geschäftsmodelle, Produkte, Kapitalanlagen, regionalen Aktivitäten sowie thematischen Schwerpunkte. Um die individuell relevanten Themengebiete zu ermitteln, sollte jedes Unternehmen daher zu Beginn eine sogenannte Wesentlichkeitsanalyse (auch Materialitätsanalyse) durchführen.

Ziel ist es, die für das Unternehmen und seine Anspruchsgruppen (Stakeholder) wichtigen Nachhaltigkeitsthemen zu identifizieren. Durch die Einbeziehung verschiedener Stakeholder ergibt sich zudem ein ganzheitliches Bild auf diese Themen. Das Rahmenwerk zur nicht-finanziellen Berichterstattung Global Reporting Initiative (GRI) sieht die Wesentlichkeitsanalyse daher als eine Grundlage der Berichterstattung an. Auf dieser Grundlage erfolgt nach GRI die Auswahl der wesentlichen Themen für die Berichterstattung. Weiterhin entscheidet sich danach, welche der zahlreichen GRI Reporting Standards ein Unternehmen nutzt. Die GRI ist eines der größten internationalen Rahmenwerke für nicht-finanzielle Berichterstattung und wird auch von vielen Versicherern herangezogen.

Ein wichtiges Instrument der Wesentlichkeitsanalyse ist die Stakeholderbefragung

Das Ergebnis der Wesentlichkeitsanalyse lässt sich mit Hilfe einer Matrix darstellen. Dabei wird klassischerweise auf der x-Achse die Relevanz der Nachhaltigkeitsthemen für das Unternehmen und auf der y-Achse deren Relevanz für die Stakeholder abgebildet. Bei Betrachtung beider Dimensionen ergibt sich ein vollständiges Bild, in dem die wesentlichen Themen in der oberen rechten Ecke der Matrix liegen (siehe Abbildung). Die Meinung der Stakeholder wird im Normalfall im Rahmen einer Stakeholderbefragung erhoben. Dabei gilt es einerseits zu beachten, dass alle relevanten Stakeholder konsultiert werden und eine hinreichend große Anzahl an Rückmeldungen zusammenkommt. Andererseits sollten die Ergebnisse pro Stakeholdergruppe repräsentativ gewichtet werden, da sich häufig von bestimmten Stakeholdern (z. B. Mitarbeitern) wesentlich mehr Einzelrückmeldungen sammeln lassen als von anderen.

Im Idealfall sollten sich die in der Wesentlichkeitsanalyse als sehr relevant identifizierten Themen auch in der Nachhaltigkeitsstrategie und den Nachhaltigkeitszielen eines Versicherers wiederfinden. Zudem sollte sich die Berichterstattung, wie bereits angesprochen, vorrangig auf diese Themen konzentrieren; sind es doch diejenigen, die auch bei den Stakeholdern auf die größte Aufmerksamkeit stoßen. Stakeholder werden mit besonderem Interesse auf die Strategie, die eingeleiteten Maßnahmen und die Zielerreichung der Versicherer in diesen Themenfeldern blicken. Versicherer können ihren Anspruchsgruppen auf diese Weise ein zielgerichtetes und transparentes Bild vermitteln.

Versicherer verwenden unterschiedliche Dimensionen bei der Durchführung einer Wesentlichkeitsanalyse

Ein Blick in die CSR Berichterstattung zeigt, dass bereits viele Versicherungsunternehmen eine Wesentlichkeitsanalyse durchführen. Interessanterweise lassen sich jedoch bei der Ausgestaltung Unterschiede feststellen. Genauer gesagt weichen die beiden Dimensionen der Analyse regelmäßig leicht voneinander ab. Am häufigsten finden sich die bereits angesprochenen Dimensionen „Relevanz für Stakeholder“ und „Relevanz für das Unternehmen“ auf den beiden Achsen der Wesentlichkeitsmatrix wieder. Mit letzterer ist in der Regel die Geschäftsperspektive bzw. die Perspektive der Geschäftsführung verbunden. Die Mitarbeitenden werden manchmal allgemein als Stakeholder, manchmal explizit als externe Stakeholder betitelt. Verbunden ist dies mit einer unterschiedlichen Rolle der Mitarbeitenden. Deren Meinungsbild zu den relevanten Nachhaltigkeitsthemen wird mal der Unternehmensperspektive, mal der Stakeholderperspektive zugerechnet.
In anderen Fällen werden die externen Stakeholder relativ eng definiert und umfassen beispielsweise lediglich Vertreter von anderen Konzerngesellschaften und den Vertrieb. Für die Auswahl der externen Stakeholder gibt es keine genau definierten Regeln, üblicherweise umfassen diese aber zumindest Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten/Dienstleister, Vertriebspartner, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Verbände.

Eine weitere Betrachtungsweise nehmen einige Versicherungsunternehmen ein, die nicht die Relevanz der Nachhaltigkeitsthemen für das eigene Unternehmen als Dimension betrachten, sondern die Auswirkungen des Unternehmens auf diese. Sie wechseln sozusagen von der „Outside-In-“ zu einer „Inside-Out-Perspektive“. Auch diese Herangehensweise ist nachvollziehbar und zweckmäßig, da so der „impact“ des Versicherers auf Gesellschaft und Umwelt im Fokus steht. Dies ist zugleich der Ansatz, den die GRI gehen – dort heißen die beiden Dimensionen der Wesentlichkeitsmatrix „Einfluss auf Stakeholder Beurteilungen und Entscheidungen“ und „Erheblichkeit der ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen“. Zuletzt ist auch eine Clusterung der Themen innerhalb der Matrix nach verschiedenen Stakeholdergruppen möglich und wird am Markt verwendet.

Einen Königsweg der Wesentlichkeitsanalyse gibt es wohl nicht. Versicherungsunternehmen, die einen solchen Ansatz integrieren wollen, können sich jedoch beispielsweise am GRI orientieren und damit zu einer größeren Vergleichbarkeit beitragen. Wichtig ist am Ende, dass es gelingt, unternehmensseitig die Themen zu identifizieren, welche die größte Wirkung auf Umwelt, Gesellschaft, Stakeholder und nicht zuletzt das Unternehmen selbst haben. Damit liefert die Wesentlichkeitsanalyse zugleich einen elementaren Beitrag für eine nachvollziehbare Nachhaltigkeitsstrategie. Die herausgearbeiteten Themen sollten dann auch die Basis für die CSR-Berichterstattung bilden und im weiteren Verlauf des Berichts im Rahmen von Strategie, Maßnahmen und Zielen immer wieder adressiert werden.

Autor: Oliver Bentz (Analyst Assekurata Assekuranz Rating-Agentur GmbH)