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Zeitenwende bei den Abschreibungsrisiken?

Die Welt steht vor neuen Herausforderungen. Zahlreiche Gewissheiten müssen hinterfragt werden. Dies führt auch für Versicherungen zu veränderten Rahmenbedingungen. Insbesondere die Lebensversicherungen sehen sich in einem neuen Spannungsfeld zwischen Kunden, Markt, Aufsicht und Bilanzregeln.

Veränderungsprozesse benötigen in der Regel viel Zeit und Geduld. Dies bestätigt aktuell die Klimadiskussion. Aber zuweilen überrascht die Geschichte den Menschen und Dinge überschlagen sich. Dieses Phänomen ist nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine zu beobachten. Als Reaktion auf diesen Angriffskrieg wird die Klimadiskussion nahezu ausgesetzt, alte Militärdoktrinen geschreddert und die Finanzmärkte durch Inflation und weitere Turbulenzen erschüttert. Es entsteht der Eindruck eines Scherbenhaufens.

Eine Konsequenz dieser Turbulenzen sind steigende Zinsen. Da erhöht sich der 10-jährige Swapsatz in kürzester Zeit um beinahe 200 Basispunkte. Eine 50jährige NRW-Anleihe, die im Jahr 2021 emittiert wurde, verliert entsprechend 50 % ihres Marktwertes. Diese Tatsachen machen Versicherungsunternehmen, Aufsichtsbehörden und Wirtschaftsprüfer nervös. Nach und nach türmen sich stille Lasten in den Zinsportfolien auf.

Versicherer müssen Anleihen, die dem Umlaufvermögen zugeführt wurden, dann im Jahresabschluss zum strengen Niederstwertprinzip bewerten. Dies führt zwingend zu einer Abschreibung auf den aktuellen Marktwert und damit zu bilanziellen Verlusten.

Um das Anlagevermögen gibt es aktuell kontroverse Diskussionen. Bisher galt es als gesichert, dass Wertminderungen erst bei einer deutlichen Bonitätsverschlechterung als Abschreibungen zu erfassen sind. Zinsanstiege und damit einhergehende Kurs- bzw. Marktwertverluste wurden nicht bilanziell abgebildet, da im Rahmen einer Dauerhalteabsicht der Nominalbetrag der Anleihe bei Fälligkeit zurückerstattet wird.

Vor dem Hintergrund der einschneidenden Ereignisse in der Welt wird diese Auffassung allerdings immer mehr hinterfragt. So stellt sich zum Beispiel bei noch sehr langlaufenden Anleihen, die im Rahmen des Zinsanstiegs massiv an Wert verloren haben, die Frage, ob nicht doch eine deutliche Unterverzinslichkeit vorliegt. Sollte dies der Fall sein, wäre im Jahresabschluss eine Abschreibung auf den Zeitwert zum Bilanzstichtag vorzunehmen. In den folgenden Jahren müsste dann bis zur Fälligkeit und bis zur Höhe des Nominalbetrags eine nach der Effektivzinsmethode berechnete Zuschreibung bilanziell erfasst werden. Dies ist vergleichbar mit der Bilanzierung eines Zerobonds.

Ähnlich stellt sich die Situation bei Fonds mit festverzinslichen Papieren dar. Hier ist eine Abschreibung zum Bilanzstichtag zu prüfen, wenn der Marktwert der Fondsanteile unter deren Buchwert liegt. Zu Bewertungszwecken erfolgt dann eine Durchschau beim betroffenen Fonds. Als Praxisregel ist zu beachten, dass unter pari erworbene Papiere in aller Regel nur mit den Anschaffungskosten und nicht mit ihrem Nennwert in die Bewertung einfließen dürfen. Über pari erworbene Papiere werden entweder stetig mit ihrem Nennwert oder alternativ mit dem nach der Effektivzinsmethode abgezinsten Wert angesetzt. Beide Maßnahmen im Rahmen der Bewertung eines Fonds führen bei steigenden Zinsen zu gesteigerten Abschreibungsrisiken.

Im Zusammenhang mit den Abschreibungen auf festverzinsliche Wertpapiere ist daneben die steuerliche Dimension hinsichtlich der Anerkennung der Verluste zu berücksichtigen. Gegebenenfalls ist der Verkauf von Anleihen oder Fondsanteilen mit einem bilanziellen Abgangsverlust vorzuziehen.

Die steigenden Zinsen haben bei Lebensversicherungen allerdings noch eine weitere Konsequenz. Den bilanziellen Abschreibungen können Entnahmen aus der Zinszusatzreserve (ZZR) entgegenstehen. Die steigenden Marktzinsen haben zur Folge, dass neue Zuführungen zur ZZR immer unwahrscheinlicher werden. Vielmehr sind Entnahmen zu erwarten, welche die Gesellschaften zur bilanziellen Vorsorge nutzen können. Hier ist eine zeitnahe Unternehmenssteuerung gefordert, die auf der einen Seite die Entwicklung stiller Lasten, möglicher Abschreibungen sowie der Abgangsverluste und auf der anderen Seite der ZZR im Auge behält.

Wir befinden uns nicht nur politisch, klimatisch oder militärisch in einer Zeitenwende. Auch gebräuchliche Bilanzierungs- und Bewertungsregeln könnten im Begriff sein, sich zu wandeln. Die Zinszusatzreserve bietet zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Chance einer Entnahme. In diesem Zusammenhang sollten die Spielregeln, nach denen der Jahresabschluss aufgestellt werden soll, frühzeitig abgestimmt werden. Das gilt für alle Unternehmen, Wirtschaftsprüfer, Berater und Aufsichtsbehörden. Ein nicht rechtzeitig erzielter Konsens über die Auslegung der Bewertungsregeln würde den aktuellen Krisen noch eine weitere hinzufügen, die mit einem frühzeitigen Agieren hätte verhindert werden können.

Autor: Christoph Brüggentisch (Managing Consultant Assekurata Solutions GmbH)

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